Für Frauen bedeutet Mutterschaft auch einen großen Einkommensverlust – das jedenfalls bestätigen Statistiken. Doch es lohnt sich, einen Blick auf den Gewinn in der Elternzeit zu werfen. Drei Vorteile, und welche neuen Glaubenssätze wir brauchen, um die Gefahr rund um den #childpenalty Dialog zu vermeiden. Über das Privileg mentale Gesundheit und persönliches Wachstum zu priorisieren, ein Plädoyer für bewusste Mutterschaft, und eine Erklärung warum Kinder für eine Frau keine Strafe sind.
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Warum lineares Denken ein Auslaufmodell für Wirtschaft und Leben ist und warum Wachstum und Veränderung Stillstand benötigen.
Deutschland ist endlich mal Spitzenreiter. Hierzulande büßen Frauen nach der Geburt eines Kindes im internationalen Vergleich überproportional an Umsatz bzw. Einkommen ein. Dies geht aus der letzten Studie „Child Penalties across countries: Evidence and Explanations“ von Henrik Kleven et al., eines langfristigen Einkommens-Vergleichs der Mütter, hervor. Sogar Schweden, ein Beispielland für die Vereinbarung von Familie und Beruf, schneidet schlecht ab, eine Überraschung für die Experten. Sind Kinder für Frauen in Deutschland also eine Strafe?
Vor der Geburt unseres ersten Kindes ging ich davon, dass, solange es den “richtigen Partner” gibt, der die eigene Karriere fördert, alles wunderbar vereinbar ist. Einen Monat vor der Geburt stand ich noch in einem Vorstandsworkshop, einen Tag vor der Geburt schloss ich noch stolz einen Vertrag mit einem Großkunden im Beratungsunternehmen für Digitalisierung und Transformation, das ich mit meinem Mann führte - mit großem Projektstart drei Monate post-partum.
Laut aktueller Empowerment Narrative können wir Frauen ja alles haben, solange das Mindset und den Partner passt. Beides war bei mir vorhanden, somit alles kein Problem, oder?
Schnell merkte ich im Laufe des ersten Lebensjahres unseres Sohnes, dass diese Narrative, zumindest für uns, nicht passte. Zum ersten Geburtstag waren wir beide ausgebrannt - trotz 50/50 Teilung der Arbeitstage und Nächte mit Säugling - sogar mit Kanban Board im Kinderzimmer. Nach einem Jahr, entschied ich mich somit das Experiment “Du kannst es alles haben, Alissia” dort abzubrechen. Ich löste mich aus unserer gemeinsamen Firma und wurde Vollzeitmama.
Die Tatsache war: ich fühlte mich ausgebrannt.
Es war klar für mich, dass ich, diejenige, die auf der Bühne steht und über Menschlichkeit im Arbeitsleben, den Einfluss eines gesunden Nervensystems auf Kreativität und Kollaboration spricht, im eigenen Leben nicht genau da sein wollte, wovor ich die Menschen mit denen ich arbeite bewahren möchte.
Mein Nervensystem war überreizt, ich war im stetigen inneren Konflikt mit meiner Rolle als Karrierefrau und Mutter, und befand mit in einem depressionsartigen Zustand. Denn das was ich über mich dachte und das, was ich fühlte, war nicht mehr kongruent.
Der Antritt meines Jobs „Vollzeitmama“, der Verzicht auf Applaus meines Publikums und meiner Kunden war hart, denn ich selber hatte ein Problem mit dem Glaubenssatz, dass die Arbeit als Mutter ja nichts “wert” ist, ein zentraler Punkt meines eigenen Konfliktes mit mir selbst.
Der Rückzug in die Stille und das Aufgeben meiner mir so schwer erkämpften Identität als Role- Model und “Woman in Tech und New Work” war für mich mit Sicherheit das Schwierigste, das ich in dieser sowieso verwundbaren Zeit tun konnte.
Mit viel Unterstützung von meinem Mann, meiner Familie, Freunden und auch meiner Therapeutin sehe ich das ganze Thema nun grundlegend anders und hoffe mit meiner Geschichte auch Frauen und Familien anzusprechen, die sich vielleicht in derselben Situation befinden.
Jetzt nach zwei Jahren Mutterschaft, dem Verlust von viel Umsatz bzw. Einkommen – trotz Elterngeld und Ersparnissen durch gutes Wirtschaften - wie die Frauen in der o.g. Studie - und ein paar Tage, bevor mein Sohn in die Kita geht, kann ich jedoch mit großem Selbstbewusstsein sagen, dass meine Vollzeit-Auszeit wahrscheinlich das Beste war, das ich für mich und meine Familie tun konnte.
Drei folgende Einsichten hätte ich nicht gemacht, wenn ich einfach weiter gepusht hätte, um der Welt und mir selbst zu bewiesen, dass das Leben mit Kind etwas ist, dass man schnell outsourcen sollte:
1. Ein Kind ist der beste natürliche Treiber für persönliche Weiterentwicklung:
Seitdem ich 30 bin, hat sich meine Liste vor Seminaren, Workshops und Trainings zum Thema Persönlichkeitsentwicklung und Veränderung stets verlängert: Meditationstrainings, eine intensive Psychotherapie, ein Aufenthalt in einem schamanischen Heilzentrum im Amazonas in Peru, diverse weitere Workshops, Kurse und Weiterbildungen zu den Themen Veränderung, Auflösung destruktiver Verhaltensmuster, Weiblichkeit, Achtsamkeit mit meinem Menstruationszyklus, Sexualität und Spiritualität hinter mir, aber ich kann mit allergrößter Gewissheit sagen, dass das Mutterwerden wohl die extremste und natürlichste Form der Selbsterfahrung ist. In keinem Retreat oder Workshop wird man so mit seinen eigenen Belastungsgrenzen konfrontiert, mit einem echten Einsatz, bei dem wirklich etwas auf dem Spiel steht. In der Rolle als Mutter werden eigentlich alle Themen nochmal neu verhandelt, mit sich selbst und natürlich auch mit dem Partner. Das braucht seine Zeit und Ruhe, die man meiner Meinung nach nur in Angesicht des kompletten Rückzugs mit seinem Kind bekommt. Man lernt “seine Frau” zu stehen und wirklich auszusortieren, was wichtig, gut für sich ist und was einfach nicht mehr in das Leben passt. Für mich war das Mutterwerden die transformierendste Erfahrung, alte Denkmuster und Interessen neu zu konfigurieren und mich einem noch einem Stück näher zu meinem authentischen ICH zu bewegen. Diese Zeit zu verpassen und zu schnell in das alte Leben zurückzukehren, wäre im Nachhinein gesehen eine große Verschwendung - eine Verschwendung einer Möglichkeit selber wirklich zu lernen. Wenn wir heute in Unternehmen jedoch von Veränderung und Lebenslangem Lernen sprechen, ist das Einlassen auf die Reise „Mutter sein“ die beste Lehrerin, die wir uns vorstellen können.
2. Die Möglichkeit, die Partnerschaft auf eine neue Ebene zu heben
Das aktuell stark propagierte Narrativ der totalen Unabhängigkeit vom Mann (oder der Frau) ist spätestens nach der Geburt eines Kindes beendet. Ein Kind bedeutet Kontrollverlust, der ab der Minute beginnt, in der man den positiven Schwangerschaftstests in der Hand hält. Für mich als Geschäftsfrau in einer Welt in der die Dinge meist planbar waren, war dies keine leichte Einsicht. Ich brauchte Zeit und Hilfe von außen, um mich auf die Natur des Mutterseins einzulassen, den Rhythmus des Lebens und auch unserer Partnerschaft neu zu lernen und zu akzeptieren, dass so schön unser neues Leben ist, das alte Leben und das Dasein als Individuum und Paar unwiederbringlich vorbei ist. Es besteht keine Frage, dass die Partnerwahl - mit oder ohne Kind - ein Leben beeinflusst, aber auch, wenn man das Glück hat einen “der Guten” zu erwischen, verändert sich die Beziehung, wenn ein Kind auf die Welt kommt. Große Entscheidungen über Erziehung, Leben, Essen, Schlafen, Arbeit, Sex, finanzielle Umverteilung, Verantwortungen, gilt es neu zu verhandeln, meist unter extremem Schlafmangel. Mit absoluter Gewissheit muss ich gestehen, dass nicht nur die Bereitschaft des Partners die Frau bei der Rückkehr in den Job zu unterstützen oder das Gleichberechtigungs-Mindset, das auf die Gehaltsabrechnung oder Zeit im Büro abzielt, zählt. Es ist vor allem die bedingungslose Bereitschaft die nötige Arbeit zu tun um gemeinsam zu wachsen, gefragt. Die eigentliche Herausforderung für mich war und ist zu wissen, dass ich mich bewusst in eine wirtschaftlich schlechtere Situation bewege, und genau darin meine Stärke und die Stärke unserer Beziehung zu sehen.
Die Vereinbarkeits-Lüge
Der Weg dorthin war hart, aber die Belohnung dafür ist riesig. Wir haben eine ganz neue Basis für uns und unsere Partnerschaft gelegt - für immer. Hierzu braucht man Zeit, Raum und Unterstützung von Menschen, die diesen Weg bereits erfolgreich gegangen sind. Manche schaffen dies nebenbei. Wir und ich brauchten dazu einen geschützten Raum.
3. Größte Chance, in die Selbstverantwortung zu gehen
Die Narrative der “einfachen” Vereinbarkeit von Beruf und Karriere und das Weitermachen - wie immer - mit Kind ist meiner Meinung nach die größte Lüge unserer Zeit. Ein Kind verändert unsere Welt, unseren Rhythmus, unsere Prioritäten und zu glauben, dass beide Partner einfach so weitermachen wie bisher hat definitiv seinen Preis. Das Leben muss neu verhandelt und neu gedacht werden, und das fordert ein hohes Maß an Selbstverantwortung: physisch, mental, emotional und auch finanziell.
Hier ist es einfach Realität, dass man gemeinsam aber auch für sich sorgen muss. Es gilt zu definieren, was jetzt wichtig ist, was nicht, und wie man seine gemeinsame Zukunft sieht.
Konkret haben wir als Paar in diesem Jahr zum Beispiel ein gemeinsames Visionboard erstellt, mit Visualisierungen wie wir uns unser Leben, unsere Beziehungen, unsere Arbeit und unsere Träume vorstellen. Dieses Visionboard hängt in unserem Schlafzimmer und hilft uns auf Kurs zu bleiben. Natürlich hängt mein eigenes Visionboard daneben, damit auch mich selbst nicht vergesse.
Mein Argument ist, dass Elternschaft, besonders bei dem ersten Kind eine der größten Transformationsmomente im Leben darstellt, es gilt nun neue Weichen zu stellen, zu nähren und ein Fundament für ein neues Leben zu bauen.
Ich denke, dass wenn man diese Erfahrung an Kennzahlen wie den Nettoumsätzen vergleicht, das verpasst, was unwiederbringlich verloren geht und am Ende viel mehr verliert, als in Zahlen ausgedrückt werden kann.
Mein Argument ist, dass wir anerkennen sollten, dass Deutschland ein Land ist, dass einen Umsatzrückgang für Familien erlaubt, um die mentale Gesundheit zu stärken und, wenn wir das nicht als Empowerment sehen, wir auf lange Sicht viel verlieren.
Somit zum Abschluss noch einmal die Frage, ob Kinder eine Strafe für die Frau sind:
Die Antwort lautet ganz klar: JA, wenn man Strafen und Belohnungen im Leben an absoluten Zahlen auf dem Konto festmacht.
Traut man sich jedoch sich auf die ultimative Lebenserfahrung einzulassen, sich wirklich zu verändern und somit persönlich und mit seinem Partner zu wachsen, und somit vielleicht schlummernden Dämonen in Gesicht zu schauen, und zu sehen, dass sie im Licht doch gar nicht so wild aussehen, dann stellt der relativ kurzfristige Umsatzrückgang doch eher als ein verkraftbares Übel da.
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